01.03.2022

Schlechtes Wetter gibt es nicht

  • Die Fotografin Polly Rusyn versteht jede Herausforderung als Chance. Hier erklärt sie, wie du in der Streetfotografie schlechtes Wetter und tristes Licht zu deinem Vorteil nutzen kannst

    So sicher wie der Nacht ein Tag folgt, gibt es auch mal trübes Wetter. Sobald dunkle Wolken aufziehen und nasse Tropfen vom Himmel fallen, sind die Straßen wie leergefegt. Nicht gerade die beste Zeit für die Streetfotografie, zumal unter der Wolkendecke auch das Licht zusehends schwächer wird.

    Trotzdem gibt es mutige Fotografinnen und Fotografen, die scheinbar nur auf diesen Moment warten. Mit der Kamera in der Hand stürzen sie sich auf diese kreative Aufgabe, die ziemlich viel künstlerisches Potenzial freisetzen kann. X-Photographer Polly Rusyn ist eine von diesen Kreativen.


  • Ganz gleich, welcher Herausforderung sich Polly gegenübersieht, für sie ist das Glas immer halb voll. Aber die Fähigkeit, bei schlechtem Wetter gute Fotos zu machen, musste sie sich mühsam erarbeiten. „An bedeckten Tagen verblasste mein Wille zu fotografieren zu einem Grauton, der zum Himmel passte. Und da ich in London lebe, kam das leider ziemlich häufig vor“, erzählt sie. „Wenn es sonnig, warm und hell ist, ist draußen viel mehr los. Die Menschen lachen und die Farben leuchten. Du kannst mit Schatten, Silhouetten und Lichtflecken spielen. Das macht Spaß und die Stimmung beflügelt dich.“

    „Wer an einem grauen Tag gute Bilder machen will, besinnt sich oft auf die Vorzüge der Schwarz-Weiß-Fotografie. Es ist, als ob man die Welt mit anderen Augen sieht. Bei der Motivsuche geht es nur noch um Kontraste. Aber das bin ich nicht! Ich brauche Farben!“


  • FUJIFILM X100V, 1/500 s, F7.1, ISO 1600
  • Der Bildstil von Polly ist unverwechselbar. Ihre Streetfotos bestechen durch ein bezauberndes Spiel mit realen und fiktiven Elementen. Sie öffnen eine Tür in eine Welt des Zufalls, mit oft surrealen Szenen in einer alltäglichen Kulisse. Die Bilder verleiten ihr Publikum dazu, zweimal hinzusehen, das Gesehene zu hinterfragen. Und diesen Effekt erreicht Polly durch kräftige Farbtupfer.

    „Was passiert, wenn du den Sonnenschein wegnimmst? Du musst einfach härter arbeiten“, sagt Polly. „Du kannst dich nicht auf deine Routine verlassen, sondern musst deine Wahrnehmung neu justieren, denn jetzt rücken Inhalt und Geschichten in den Fokus. Dieser Perspektivwechsel ist mir anfangs nicht leichtgefallen, weil auch ich eine gewisse Abneigung dagegen hatte, bei tristem Wetter zu fotografieren. Den Widerwillen konnte ich allerdings überwinden, indem ich mir einige kleinere Projekte vornahm, die sich nur bei schlechtem Wetter umsetzen ließen. In der Folge habe ich dann einige Techniken entwickelt, die mir helfen, bessere Farbfotos zu machen, wenn die Bedingungen nicht ideal sind.“

    Zuerst musst du sicherstellen, dass deine Ausrüstung der Aufgabe gewachsen ist – und die ersehnte bestechende Qualität liefert. Um nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, fotografiert Polly normalerweise mit der FUJIFILM X100V samt Weather-Resistant Kit. Bei höheren Anforderungen greift sie zur FUJIFILM X-T3 und drei XF-Objektiven, die ideal für diese Bedingungen geeignet sind: Das XF16mmF1.4 R WR bietet einen großen Bildausschnitt und eine hohe Lichtstärke. Das XF23mmF2 R WR ist unglaublich scharf und wunderbar leicht. Das XF27mmF2.8 R WR ist das kompakteste von allen und bleibt selbst mitten im Geschehen sehr diskret.


  • FUJIFILM X-T2 mit XF23mmF2 R WR bei 1/500 s, F8, ISO 1250


    FUJIFILM X100V, 1/500 sec at F8, ISO 400


    FUJIFILM X-T20 mit XF35mmF2 R WR, 1/60 s, F8, ISO 800


    FUJIFILM X100V, 1/500 s, F8, ISO 1600

  • Als Nächstes gibt Polly einige praktische Ratschläge und Hinweise zu den von ihr bevorzugten Einstellungen. „Bei weniger Licht ist es generell ratsam, langsamer zu arbeiten. So ist es einfacher, scharfe Bilder und eine ausreichend große Schärfentiefe zu erhalten – es sei denn, du bist auf eine kreative Bewegungsunschärfe aus“, sagt die Fotografin. „Normalerweise blende ich bis F5.6 oder F8 ab und stelle eine Verschlusszeit zwischen 1/250 und 1/500 Sekunde ein. Danach wähle ich eine passende Empfindlichkeit. Das ist die Komponente, bei der ich am ehesten Kompromisse eingehe, da FUJIFILM Kameras gut mit hohen ISO-Werten zurechtkommen.“

    Fast scheint es, als ob aus den Farben in Pollys Fotos ihr eigener Optimismus strahlt – jedes Bild ist von überschwänglichem Charme. Tatsächlich, so sagt sie, sei für diese Bildwirkung jedoch etwas anderes ausschlaggebend: aufmerksames Beobachten.

    „Ich habe mich von der Glasgow-Serie des Dokumentarfotografen Raymond Depardon inspirieren lassen. An tristen Tagen halte ich Ausschau nach Menschen, die leuchtende Farben tragen, und fotografiere sie vor einem eintönigen Hintergrund“, erklärt Polly. Allerdings liegt es wohl in der Natur vieler Menschen, bei schlechtem Wetter vorzugsweise dunkle Kleidung und gedeckte Farben zu tragen. Lange schwarze Mäntel und Regenschirme schützen jedoch nicht nur vor den Widrigkeiten des Wetters, sondern verbergen auch die persönliche Identität und Individualität. Mit etwas Glück finden sich aber immer einige farbenfrohe Individuen – zum Beispiel Kinder, die Polly besonders gern fotografiert. „Kinder tragen das ganze Jahr über schöne bunte Kleidung. Außerdem rennen und spielen sie immer und bringen so ein lebendiges Gefühl von Bewegung in die Streetfotografie.“

    Wenn sich keine farbenfrohen Gestalten finden lassen, greift Polly auf einen Trick zurück: Sie sucht einen möglichst farbenfrohen Hintergrund. „Ein Plakat, eine Graffiti-Wand, eine bemalte Häuserzeile oder ein Schaufenster sind perfekt“, so Polly. „Wähle deinen Bildausschnitt und warte dann, bis jemand vorbeikommt und die Szene mit Leben füllt.“

    Und wenn sich auch kein farbenfroher Hintergrund findet? In diesem Fall rät Polly dazu, nach farbigen Details Ausschau zu halten. „Wenn du dich auf das auffällige Element eines Kleidungsstücks oder einen interessanten Gegenstand, den jemand in den Händen hält, konzentrierst, verliert ein Regentag plötzlich seine Tristesse. Geh so nah wie möglich heran und behalte im Hinterkopf, dass du später immer noch einen Ausschnitt vergrößern kannst. Eine fantastische Idee kann es auch sein, mehrere farbige Details miteinander zu kombinieren.“

    Polly beweist mit ihren Aufnahmen, dass ein bedeckter Himmel nicht nur eine fotografische Herausforderung darstellt, sondern auch einige Vorteile mit sich bringt. Das diffuse Licht leuchtet die Szene gleichmäßig aus. Es gibt keine harten Schlagschatten, die Teile des Bildes in tiefes Schwarz tauchen. So lassen sich ganze Bildserien mit einheitlicher Belichtung anfertigen.

  • „An einem Tag ohne direkte Sonneneinstrahlung verdeckt nichts die Gesichter. Ich besuche gern belebte Orte und versuche, so viele Personen wie möglich in einer Bildkomposition unterzubringen. Das ist nicht leicht, weil die Menge ja ständig in Bewegung ist. Aber mit etwas Geduld bekommt man ein Gefühl für die Dynamik der Szene“, sagt Polly. Die Fotografin rät dazu, die Herausforderung spielerisch anzugehen. „Probiere einfach aus, wie viele unterschiedliche Gesichter, du mit einer Aufnahme einfangen kannst.“

    Natürlich ist strahlender Sonnenschein Pollys eigentliches Element. Die Sorglosigkeit und Lebensfreude, die dann zu beobachten sind, sorgen für eine gänzlich andere Bildästhetik. „Aber wenn du gelernt hast, an einem grauen Tag gute Motive zu finden, wird sich das positiv auf deine Streetfotos auswirken“, versichert die Fotografin und bringt ihre Kernbotschaft zum Abschluss mit einer Frage nochmals lachend auf den Punkt: „Wer braucht schon schönes Wetter für gute Bilder?“


  • FUJIFILM X100V, 1/500 s, F6.4, ISO 1600